Leseprobe 4 aus ‚DREI KÖNIGE‘ - BRUDERKRIEGE

Eberhard gab einige kurze Befehle und schritt dann furchtlos – begleitet von nur zweien seiner Vertrauten – durch das geöffnete Tor. Er ließ sich in den Thronsaal führen, wo er gemeinsam mit dem Gastgeber Platz nahm. „Es wurde in meinem Reich ein Mädchen entführt und gestern auf Euer Schloss gebracht ! Bestreitet Ihr es ?!“ Eberhard saß bequem und wartete auf die Antwort seines Gegenübers. Dieser hob an: „Ich bestreite nicht das Hiersein eines Mädchens, welches ich gestern von Händlern erwarb ob ihrer Schönheit. Doch von einer Entführung weiß ich nichts. Ich versichere Euch, dass ich Euch das Mädchen ohne Zögern aushändigen werde, solltet Ihr berechtigten Anspruch erheben.“ Die blonde Sieglinde wurde gebracht und befragt. Sie bestätigte, dass sie aus König Eberhards Reich entführt und hierher verschleppt ward. Sofort gab der König Befehl, die Jungfrau an die draußen lagernden Heerführer auszuhändigen. „König Eberhard, ich versichere Euch, dass ich selbst betrogen wurde. Ich sprach bisher nicht mit dem Kind und wusste nicht, dass es das Opfer einer Untat war.“

Eberhard war sich wohl der Tatsache bewusst, dass dies nicht die ganze Wahrheit war. - Solches Blond und solch milchweiße Haut gab es hierzulande nicht, so dass einem Jeden klar sein musste, woher eine solche Unglückliche stamme. Doch er schwieg. – Ihm war ein anderer Gedanke gekommen: Dieser König stand nun in seiner Schuld; also würde er es nicht ablehnen, Eberhard eine Gefälligkeit zu erweisen. „Gibt es Zwerge in Eurem Land ?“ Konsterniert blinzelte der Gefragte. „Zwerge ? Ich, – ich..., ich fürchte, dass ich Euch nicht ganz folgen kann....“ Eberhard wiederholte seine Frage – und erläuterte deren Sinn. „Nun“, brummte der immer noch Überraschte, „ob es in meinem Reiche Zwerge gibt, vermag ich nicht zu sagen; doch will ich Befehl geben, dies herauszufinden...“ „Lasst alle Zwerge zu mir bringen“, forderte Eberhard, „es soll Euer Schade nicht sein; auch die Kaufsumme für das geraubte Mädchen will ich Euch erstatten.“

Davon jedoch wollte der insgeheim Erleichterte nichts wissen und er versicherte Eberhard, dass es ihm eine Freude sei, solcherart seinen guten Willen zu beweisen. Eberhard nickte zustimmend. „Dann versucht auch, der Entführer habhaft zu werden und sie mir zuzuführen. Mit solchem Gesindel muss ein kurzer Prozess gemacht werden ! – Hätten sie doch auch Euch beinahe in schlechten Ruf gebracht !“ Auch damit erklärte sich der König einverstanden und versicherte Eberhard, dass er beiden Ansinnen Genüge tun wolle.

Die beiden Könige schieden in nunmehriger freundlicher Beziehung und Eberhard machte sich mit seinen Mannen auf den Nachhauseweg. Während des Rittes hatte Eberhard Muße, sich die Jungfrau genauer zu betrachten und er erkannte, dass sie wahrhaftig von auserwählter Schönheit war. Allerdings war sie für Eberhards Geschmack bereits zu sehr entwickelt, so dass er den Gedanken an eine eigene Inbesitznahme wieder verwarf. Doch vielleicht wäre sie ja eine geeignete Zofe für seine Gemahlin und würde sich darüber hinaus mit der Zeit auch als willige Gespielin für Heidrun erweisen. Eberhard lachte auf. Dieser Gedanke amüsierte ihn; er beschloss, diesen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Ihn drängte, zurück nach Hause zu seiner Kunti zu kommen und er setzte sich an die Spitze seiner Männer.

Es dunkelte bereits, als das Heer das heimische Schloss erreichte. Eberhard ließ sich bei seiner Gemahlin melden, um ihr über das Gelingen seiner Unternehmung zu berichten. Nachdem er geendet, ließ er die Jungfrau bringen; stellte Diese der Königin vor, um sich dann endlich für die Nacht zu verabschieden.

Am nächsten Morgen rief man Sieglindes Eltern vor den König. Diese hatten noch in der Nacht vom glücklichen Ausgang der Unternehmung gehört und zeigten sich voll Dankbarkeit gegenüber ihrem gütigen König. Ihre Freude kannte keine Grenzen, als Eberhard ihnen zudem seinen Entschluss, Sieglinde als Zofe für die Königin am Hofe zu behalten, mitteilte. Eberhard war gut gelaunt nach der vergangenen Nacht. Seine Gespielin Kunti hatte ihn für all die Unbill der beiden vergangenen Tage entschädigt und er zeigte sich am Morgen als großzügig und umgänglich.

Seine Gemahlin hatte Gefallen an dem hübschen Mädchen gefunden und erwies ebenfalls ihre Dankbarkeit für Eberhards wohlwollende Geste, ihr das Mädchen als Gesellschafterin zu überlassen. „Ich danke Euch, mein Gemahl. Ich bin mir wohl der Ungelegenheiten bewusst, die Ihr auf Euch genommen habt, um das arme Mädchen aus den Händen dieser Unholde zu befreien.“ Großzügig wehrte Eberhard ab: „Für Euch, edle Gemahlin, habe ich dies mit Freuden getan und solltet Ihr weitere Wünsche haben, so bin ich gerne bereit, auch diese zu erfüllen.“ Eberhard sonnte sich in seinem Ruhm; er hatte bewiesen, dass auch er furchtlos und hart sein konnte, wenn die Umstände es erforderten. Auch für die Bevölkerung bestand Grund zu Jubel und Freude. Hatte König Eberhard doch gezeigt, dass er nicht mit sich spaßen ließ, wenn die Sicherheit seiner Untertanen bedroht wurde ! Überall ließ man ihn darum hochleben und die kleinlichen Kritiker, die sein ausschweifendes Leben verurteilt hatten, verstummten....

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Wolfs Gemahlin Gertraud lag darnieder zur Geburt ihres ersten Kindes. König Wolf erging sich derweilen im Schlosspark, was heißen will, dass er wie ein Irrsinniger auf und ab rannte. Der Arzt, der dieses Gebaren von einem der oberen Fenster aus beobachtet hatte, war hinuntergegangen, um seinen Herrn zu beruhigen. Als Wolf Dessen ansichtig wurde, eilte er ihm entgegen: „Sprich Er ! Ist es ein Knabe – oder ein Mädchen ?!“ „Es ist noch nicht soweit, Herr; ich bin gekommen, ....“ Weiter kam er nicht. Wolf packte ihn mit beiden Händen am Kragen und schüttelte ihn hin und her. „Was tust du dann hier unten ?! Geh’ zurück und sorge dafür, dass alles seinen rechten Gang nimmt !!“ Zu Tode erschrocken, trollte sich der Arzt, um weiter auf das Einsetzen der Wehen zu warten.

Derweilen stürmte Wolf weiter durch den Park. „Wenn er mir einen Fehler macht“, brummte er, „soll er mich kennenlernen.“ Wild sträubte sich sein buschiger Bart und Wolf gestikulierte mit beiden Armen, dabei immer weiter vor sich hinsprechend. Mit einem Male riss er beide Arme hoch. „Ich lasse ihn rädern“, brüllte er wie von Sinnen, „rädern und pfählen ... und am Ende noch vierteilen !!“ Entsetzt flüchteten einige Hofdamen, welche sich unweit des Königs im Park aufgehalten hatten. Wolf wollte sich kaum mehr beruhigen: „Ich gebe ihm nicht mehr allzuviel Zeit; nicht mehr allzuviel...!!“

Endlich erschien eine der Hofdamen am offenen Fenster und fast gleichzeitig erschien ein Page in der rückwärtigen Tür zum Park. Wolf raste, wie von Furien gehetzt, los – überrannte den Pagen, stürmte die Treppen empor und hörte schon aus der Entfernung den Schrei des Neugeborenen. Er lief weiter, riss die Tür auf und seine erste Frage war: „Wie geht es Beiden ?“ Nachdem er sich versichert hatte, dass Gemahlin sowie das Kind wohlauf waren, wollte er von dem Arzt wissen, welchen Geschlechtes sein Sprössling sei. Immer noch verängstigt, trat der Arzt einen Schritt zurück. „Es ist eine Prinzessin, Herr.“ Mit funkelnden Augen kam Wolf auf ihn zu und packte ihn erneut am Kragen. „Wie kannst du das wissen ? Geh’ und sieh nach !“ Zitternd nahm der Arzt das Neugeborene, um es dem König zu zeigen: „Seht selbst, Herr. – Es ist nicht meine Schuld.“ „Nicht deine Schuld ? – Vielleicht ist es doch ein Knabe – und du hast ihn nur beschädigt. Sieh’ nach, ob nicht ein Teilchen zu Boden gefallen ist !“

Wolf nahm dem nun ernstlich Verängstigten das Kind aus den Händen und begann, schallend zu lachen. Erleichtert atmete der Arzt auf; der König hatte nur gescherzt ! Auch Gertraud war erleichtert. Keine Vorwürfe kamen von ihrem Gemahl, dass es sich nur um eine Tochter handele. Wolf legte das kleine Bündel vorsichtig neben seine Gemahlin, küsste es und sagte zu dem Neugeborenen: „Macht nichts, dass du nicht der Thronfolger bist; dann wirst du eben so hübsch wie deine Frau Mama.“ Lachend schritt er durch das Zimmer, sah aus dem Fenster und erblickte den Pagen, welchen er in seinem Übereifer überrannt hatte. Der König wies ihn an, sich nicht von der Stelle zu rühren und schritt die Treppen hinab, um zu dem Knaben in den Park zu gelangen. „Was wolltest du mir bestellen, mein Junge“, fragte Wolf sanft. „Dass Ihr ein Töchterlein erhalten habt, Herr König“, antwortete der Knabe. „Hast du dich bei deinem Sturz verletzt ?“ Der Knabe schüttelte tapfer den Kopf und Wolf drückte ihm eine goldene Münze in die Hand: „Wenn du mir im nächsten Jahr die Geburt meines Sohnes verkündest, bekommst du deren zwei.“ Damit drehte Wolf auf dem Absatz um und kehrte zurück zu Gemahlin und Kind.

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Urs stand an der Esse und schmiedete. Er war verärgert. Edelgard war nach der Geburt des Thronfolgers zu ängstlich geworden. Sie wollte nicht mehr leiden, dass Urs an den alljährlichen Ritterspielen teilnahm. Missmutig legte Dieser den Hammer beiseite und betrachtete das sich in der Herstellung befindliche Lanzenblatt. Er trug es zum Feuer und ließ den Blasebalg betätigen. Edelgard kümmerte sich darüber hinaus unausgesetzt um den Thronfolger, so dass Urs sich vernachlässigt fühlte und langweilte. Nun sollte er zu allem Überfluss auch noch auf die Kampfspiele verzichten ! Er, der Sieger unzähliger Waffengänge ! Urs lachte grimmig und trug das glühende Eisen zurück zum Amboss, um es weiter zu bearbeiten. ’Du könntest verletzt – oder gar getötet werden, ́ hatte sie gesagt, ’denke an deine Verantwortung ! ́

Wütend bearbeitete er das Eisen. Was war mit i h r e r Verantwortung ? Wozu hatte man eine Amme ? Aber nein, Edelgard musste sich um alles, was den Thronfolger betraf, selbst kümmern. Auch nachts ! Dies war der springendePunkt : Urs kam zu kurz im Liebesleben! „Hab’ ich nicht lange genug verzichtet während ihrer Schwangerschaft ? War dies nicht lange genug“, hämmerte Urs die Frage auf die Lanzenspitze. „Ich sollte mir eine Mätresse nehmen, wie mein Bruder Eberhard“, sprach er mit sich selbst weiter, „ja, das sollte ich wirklich tun. Es würde ihr eine Lehre sein !“

Die Lanzenspitze war soweit und Urs löschte sie in kaltem Wasser, dann in Öl. Irgendetwas war noch nicht perfekt an seiner Schmiedekunst; doch er würde es herausfinden. Vielleicht sollte er ein anderes Öl benutzen. Urs zog die lederne Schürze aus und überließ das Weitere dem wartenden Schmied.

Er ließ sich ein Bad bereiten und der Kammerdiener wusch ihn mit dem großen Schwamm. Urs stellte sich vor, wie es wohl sei, würde eine Zofe diese Arbeit verrichten. Er schreckte auf. „Verschwinde“, herrschte er den Kammerdiener an, „ den Rest erledige ich selbst !“

...Versonnen lag Urs in der Wanne. Er würde mit Ulf ein Gespräch führen; Ulf wusste stets einen Rat. Erneut dachte er an die bevorstehenden Ritterspiele. 'Sie werden über mich lachen. Urs ist ein Mädchen geworden, das sich vor Verletzungen fürchtet, werden sie sagen. Na wartet ! Wir wollen sehen, wer der Herr im Schloss ist ! ́ Neuerlich verärgert, erhob sich Urs und stieg aus dem Zuber. Selbst trocknete er sich ab und kleidete sich an. Dann stand er unschlüssig im Raum. Was sollte er nun beginnen ? Wohin sollte er jetzt gehen ? Zu seiner Gemahlin, um ihr Vorwürfe zu machen? 'Ich werde an den Spielen teilnehmen. Ich, Urs, werde daran teilnehmen und sie gewinnen. Anschließend werde ich mir eine Mätresse nehmen. Schließlich habe ich das Recht dazu ! ́

Der im Grunde gutmütige Urs hatte erneut versucht, sich in Rage zu bringen, doch wollte dies ihm nicht mehr so recht gelingen. In seinen Gemächern schritt er unruhig hin und her. Er wusste nicht, wie er die Zeit bis zum Abendmahl hinter sich bringen sollte; also rief er nach dem Kammerdiener. „Bring’ mir Wein“, befahl er Diesem, „einen großen Krug.“ Der Wein wurde gebracht und Urs begann zu trinken. Es war eher eine unübliche Stunde für den König, beim Weine zu sitzen und alleine wollte es ihm nicht so recht munden. Wiederum rief er den Kammerdiener: „Sieh’ nach, ob Ulf alleine ist; falls dies so sein sollte, aber nur dann, bringe ihn zu mir !“

Der Kammerdiener entfernte sich, um bald darauf mit dem Bescheid zurückzukommen, Ulf befände sich in Begleitung seiner Frau in seinen Gemächern. 'Und in Begleitung der Zofe und des Pagen, ́ dachte Urs und nahm einen weiteren tiefen Schluck. „Sind denn Alle in diesem Lande beschäftigt, bis auf mich“, brüllte er auf einmal los und warf den Becher in einer zornigen Bewegung zu Boden. Der erschreckte Kammerdiener kam herbeigeeilt, um die Bescherung zu beheben. „Möchtet Ihr einen neuen Becher, Herr ?“ Urs antwortete nicht, winkte nur ab und zog sich in sein Schlafgemach zurück. Er warf sich auf das Bett und hing seinen trüben Gedanken nach. Würde er es tatsächlich übers Herz bringen, sich eine Gespielin zuzulegen ? Er war nicht wie Eberhard; doch hatte ihn dieser Gedanke nun einmal gepackt. Wenn Edelgard doch nur endlich wieder zur Vernunft käme und sich mehr um ihn kümmern wollte !

Endlich war es Zeit, das Abendmahl einzunehmen und Urs schritt unsicher zur Tafel. Er hatte beschlossen, noch einmal zu versuchen, mit Edelgard ein vernünftiges Wort zu reden. Davon wollte er dann alles Weitere abhängig machen. Urs saß bereits wartend an der Tafel, als ein Diener erschien, um die Königin zu entschuldigen. Der Thronfolger sei unwohl und die Königin wolle ihn nicht ohne Aufsicht lassen. Urs hieb mit der Faust auf die schwere Eichentafel. „Holt mir meinen Berater Ulf ! Ich wünsche mit ihm zu speisen; falls seine Gemahlin nicht ebenfalls unwohl ist“, fügte er grimmig hinzu. Waren denn Alle gegen ihn; hatte sich Alles gegen ihn verschworen ?

Ulf erschien. Erstaunt nahm er Platz an der Rechten des Königs, wie ihm geheißen, um zu warten, was sein Herr ihm mitzuteilen hätte. Dieser jedoch ließ auftragen und nötigte den Zwergen nur, sich auflegen zu lassen, um mit ihm gemeinsam zu speisen. Kein Wort kam aus des Königs Mund; denn wieder war Urs unsicher geworden. Wieder wollte er zurückschrecken vor diesem endgültigen, letzten Schritt. Ulf spürte sehr wohl, dass sein König etwas auf dem Herzen habe; doch wartete er vergeblich auf eine Erklärung. Nach Beendigung des Mahles ließ der König Wein bringen und schweigend saßen Beide vor ihren Bechern, um zu trinken. Nachdem der erste Becher geleert war, befahl der König missmutig: „Geh’ zurück zu deinen Frauen und dem Knaben; gewiss erwarten sie dich schon !“ Ulf erhob sich, verbeugte sich vor seinem Herrn und kehrte nachdenklich in seine Gemächer zurück. Urs blieb sitzen, trank und wälzte trübe Gedanken. Noch hatte er keine endgültige Entscheidung betreffend des Turniers getroffen.…

Fortsetzung Morgen